Gleiches Recht für alle?

Sehr geehrter Herr Hesse,

Bezugnehmend auf Ihren Leserbrief „ Null-Toleranz für unzulässige Pauschalisierung“ möchte ich folgendes nachtragen:

Bevor ich 1986 in Graz Rotkreuz-Arzt wurde, hatte ich vorher während meines gesamten Studiums einmal pro Woche Nachtdienst als freiwilliger Sanitäter der Grazer Rettungsdienste verrichtet , sodass ich diese Arbeit und die hiermit einhergehende Einschränkung der Lebensgestaltung also nicht nur vom Hören-Sagen kenne. Vom Klischee der „trinkfreudigen Freiwilligen“ habe ich allerdings erst aus Ihrem Leserbrief erfahren. Ich habe es in zwanzig Berufsjahren weder in Österreich noch in Luxemburg erlebt, dass Angehörige der freiwilligen Rettungsdienste im Dienst betrunken waren.

Sie schreiben zu Recht in ihrer Replik auf meinen Leserbrief, dass die Fahrer der freiwilligen Rettungsdienste keinen Beruf ausüben, wie ich es formuliert hatte, sondern einen freiwilligen Dienst – oft an 365 Tagen im Jahr. Somit bedeutet die neue Gesetzgebung bezüglich der 0,2 Promille -Grenze wahrscheinlich für sehr viele von ihnen eine nicht zumutbare Einschränkung ihrer Lebensgestaltung , da die meisten von ihnen eben nicht –wie bei den Angehörigen der hauptamtlichen Rettungsdienste- einen zeitlich beschränkten und voraussehbaren organisierten Bereitschaftsdienst versehen.

Es bleiben also viele Fragen unbeantwortet, wenn man die unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Verkehrsteilnehmer wissenschaftlich-medizinisch zu rechtfertigen versucht.

Empirische Daten oder gar Studien hinsichtlich der substanzinduzierten Unfallhäufigkeit bei Einsatzfahrten mit und ohne Sondersignal liegen meines Wissens (noch) nicht vor.

Wenn der normale Durchschnittsbürger erst mit 0,5 Promille ein Risiko für den öffentlichen Verkehr darstellt, wieso gilt dies für Fahrer von Einsatzwagen schon ab 0,2 Promille?

Ist es dann richtiger, die Grenze bei 0,2 oder bei 0,5 Promille unterschiedslos für alle Verkehrsteilnehmer zu fordern?

Ist die 0,2 Promille-Grenze eine Alibi-Grenze, weil man sich hierzulande (noch) nicht traut, von 0,0 Promille zu reden?

Soll die 0,2 Promille-Grenze nur für Fahrer der hauptamtlichen Rettungsdienste gelten?

Also 0,5 Promille-Grenze für alle Fahrer der freiwilligen Rettungsdienste ?

Sollen in unserem Land aus Freiwilligen Hauptamtliche werden, damit sie den beruflichen Anforderungen besser entsprechen? Können wir uns das leisten? Wollen wir uns das leisten und wäre es sinnvoll, dies für alle Einsatzzentren zu fordern?

Ich finde es schade, dass in unserem Land viele wirklich interessante Fragen erst dann gestellt werden, nachdem das betreffende Gesetz schon in Kraft getreten ist. Aber es besteht ja noch die Möglichkeit, über den Weg von Ausführungsbestimmungen Versäumtes nachzuholen (…).

Übrigens: die „Medien-Hype“, die Sie erwähnen, drehte sich ausschliesslich um die Luxemburger Neuro-Chirurgie und nicht um die Neurologie…

Dr. Robert Thill-Heusbourg

Facharzt für Neurologie
Zusatzbezeichnung Sportmedizin
ÖÄK-Diplom Psychotherapeutische Medizin

Luxemburger Wort
21.11.2007

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