Der Arzt als Anwalt einer Kultur der Selbstliebe

von Dr. Robert Thill-Heusbourg*

Adrienne von Speyer schreibt in ihren posthum herausgegebenen Gedanken zum Beruf des Arztes: „Der Arzt hat innerhalb seines Bereichs die Gesinnung Christi auszustrahlen, nicht mehr.“

Als Nervenarzt begleite ich oft Menschen, die unterwegs zu sich selbst sind und die sich doch verloren haben. Ihnen, die sich selbst als schwere Last zu tragen haben, möchte ich zuerst Ruhe in Zeit und Raum geben, denn sie leben in Angst und mit einem schlechten Gewissen, wenn sie erkennen, dass der Weg zur Heilung mit der Liebe zu sich selbst beginnt.


In seiner ersten Enzyklika „Deus caritas est“ beschreibt Benedikt XVI., wie der Missbrauch von „begehrender“ Selbstliebe der „schenkenden“ Nächstenliebe den Weg verstellt, ohne dabei zu erwähnen, dass es auch einen rechten Gebrauch der Selbstliebe als notwendige Voraussetzung der Nächstenliebe zu erlernen gilt.

Das missbräuchliche Reden von der sogenannten selbstlosen Liebe, wie wir es oft im Umkreis der Kirche hören, kann krank machen und Kranken den Not wendenden Trost versagen.

Wir können uns nicht zuviel lieben und hier verwechselt das Reden der Kirche vielleicht die Ich-Sucht der Spass-und Wellness-Gesellschaft mit der richtig verstandenen selbst-vollen Liebe.

Im Begleiten des Patienten will ich seine Seins- und Handlungsmöglichkeiten vermehren. Zwei christliche Hochfeste erinnern an Grundsteine dieses Weges. Weihnachten als Gegengeschichte: die Welt, das Leben könnte auch ganz anders laufen. Du kannst Dein Leben ändern. Ostern als Erinnerung: Auferstehung kann mitten am Tag geschehen. Begreife Dein Scheitern als Gelegenheit dazu.

Es gibt eine christliche Pflicht zur Selbstliebe. Und diese hat kein menschliches Mass. Kardinal Newman schrieb den schönen Satz:“ Du liebst dich nicht mehr, als Er dich liebt.“

* Facharzt für Neurologie, Psychotherpeut

Hôpital Saint Louis

Ettelbruck

Luxemburger Wort, 10. Februar 2007

 

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